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Parallel zur Frühjahrsversammlung der Deutschen Bischofskonferenz haben sich im Februar 2013 die Präventionsbeauftragten der deutschen Diözesen in Erfurt getroffen. Die wichtigsten Themen waren die Ergebnisse der von Professor Leygraf und anderen vorgelegten Studie, in der forensische Gutachten von sexuell übergriffigen Geistlichen untersucht wurden. Daneben sprachen die Beauftragten auch über den Abschlussbericht der Hotline, die die Bischofskonferenz für Opfer sexueller Gewalt von 2010 bis Ende 2012 eingerichtet hatte. Dr. Andreas Zimmer berichtet aus Erfurt:
Herr Dr. Zimmer, wie sehen die Präventionsbeauftragten den momentanen Wissens- und Forschungsstand zum Thema sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche?
Wir stellen fest, dass der Kenntnisstand über einzelne Aspekte sexualisierter Gewalt im Bereich der katholischen Kirche wesentlich größer ist als noch vor ein paar Jahren. In den letzten Jahren sind über 80 wissenschaftliche Arbeiten zu dem Thema erschienen - von Aufsätzen über Doktorarbeiten bis zu Büchern. Ich würde so weit gehen und sagen, dass die katholische Kirche inzwischen einer der am besten erforschten gesellschaftlichen Bereiche ist, was sexualisierte Gewalt angeht.
2010 hat die Bischofskonferenz die „Rahmenordnung Prävention“ in Kraft gesetzt. Wie weit sind die Bistümer in der Umsetzung?
Das ist sehr unterschiedlich. Fakt ist: alle Bistümer haben Präventionsbeauftragte benannt und Koordinierungsstellen geschaffen, oder wie im Bistum Trier sogar Fachstellen für den Kinder- und Jugendschutz eingerichtet. Wir stehen aber alle noch am Anfang und haben uns in Erfurt über die verschiedenen Ansätze ausgetauscht. Da stehen Fragen im Raum: Wie erreichen wir Ehrenamtliche? Welche Inhalte sind in den Schulungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wichtig und wie überprüfen wir, ob die Schulungen auch das gewünschte Ergebnis erreichen? Wie müssen wir die verschiedenen Bereiche wie Schulen, Seelsorge, Jugendarbeit passgenau angehen?
Wie wird die Rahmenordnung Prävention denn im Bistum Trier konkret umgesetzt?
Wir haben uns hier für einen langsamen, aber hoffentlich nachhaltigen Prozess entschieden, der bis zu zehn Jahre dauern wird. Er beginnt mit den Schulungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Führungspositionen, die mit Kindern, Jugendlichen und Familien zu tun haben. Schon im Sommer 2012 sind die ersten Informationsveranstaltungen angelaufen. Erste Schulungstage haben wir für die Leiterinnen und Leiter der Lebensberatungsstellen und der Bistumsschulen durchgeführt. Dieses Jahr stehen dann das Personal der Dekanate und das gesamte Personal der Bistumsschulen an. Bisher haben 594 Personen an den Schulungen oder Informationsveranstaltungen teilgenommen.
Was umfassen denn die Schulungen und wie hoch ist der Aufwand?
Die Basisschulung umfasst immer einen ganzen Schulungstag. Je nachdem sind das ja richtig große Gruppen. Und weil wir immer in Untergruppen arbeiten, damit die Teilnehmerinnnen und Teilnehmer sich auch vertrauensvoll austauschen können, ist das für uns ein großer personeller Aufwand.
Es gibt viele Sachinfos, z. B. zu den gesetzlichen Regelungen oder zu wahrnehmungspsychologischen Fragen. Außerdem gilt es, zu lernen, wie man Täterstrategien durchschaut. Ziel ist es, anzuregen, dass man klarer durchdenkt, wie professionelle Nähe und Distanz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter untereinander aber auch zu Kindern und Jugendlichen aussehen muss. Die Schulung soll dann weitere Prozesse anstoßen, beispielsweise die Entwicklung von Meldewegen in der Institution. An wen wende ich mich, wenn ich etwas beobachte, das falsch läuft? Das ist gerade dann eine wichtige Frage, wenn es etwa um Vorgesetzte geht.
Wichtig ist auch, anzustoßen, dass ein Verhaltenskodex für jeden einzelnen Bereich entwickelt wird. Die Regeln dieses Verhaltenskodex sollen dann von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als verbindlich anerkannt werden; durch Unterschrift verpflichten sie sich, sich entsprechend zu verhalten.
Weshalb kann da nicht ein verbindlicher Kodex für alle Einrichtungen gelten?
Sie müssen sehen, dass jede Einrichtung anders ist und ihr spezielles Profil hat.
In einem Kindergarten müssen andere Aspekte beachtet werden als in einer Fachschule für Erzieherinnen oder in der Jugendarbeit. Vor allem muss man überlegen: Gibt es bei uns in der Einrichtung besondere Situationen, in denen ein großes Abhängigkeitsverhältnis und/oder eine starke körperliche Nähe vorkommen? Da setzt die Prävention an. Wir nennen das eine „Kultur der Achtsamkeit“, und die wollen wir gern etablieren.
Wie sieht das auf der Ebene der Seelsorge aus?
Die pastoralen Berufsgruppen haben wir selbstverständlich auch im Blick, in allen Bistümern. Es gestaltet sich hier nur etwas schwieriger. In diesen Gruppen gibt es meist keine berufsständischen Richtlinien, wie etwa im pädagogischen Bereich, wo wir auf Vorlagen von Fachverbänden zurückgreifen können.
Es muss einfach klare Regeln geben und die müssen den Beteiligten an die Hand gegeben werden, ob in Schulen oder in der Pfarrei. Klienten von Lebensberatungsstellen oder Eltern sollen genau wissen: Ob im Turnunterricht, in der Kommunionkatechese oder bei der Messdienerfreizeit - da wird nach diesen und jenen Regeln gearbeitet. So können sie genauer prüfen, ob jemand Grenzen überschreitet.
Wie sollen denn all diese Maßnahmen wie Verhaltenskodex, Schulungen usw. überprüft werden?
Das ist auch in Erfurt ein wichtiges Thema gewesen. Die kirchliche Kultur war bisher nicht geprägt von der Frage nach ihrer Wirksamkeit. Man tut nach bestem Wissen und Gewissen das, was man für das Richtige hält. Aber welche Wirkung man erzielt: dafür haben wir kaum Messinstrumente. Grundsätzlich ist das Ziel aber klar: Wir wollen eine Haltungsänderung bewirken, einen Kulturwechsel hin zur Kultur der Achtsamkeit. Und wir wollen auch überprüfen können, was schon erreicht ist.
Können Sie beschreiben, was Sie mit der Kultur der Achtsamkeit meinen?
Achtsamkeit bedeutet: Ich soll lernen, meine Wahrnehmung zu weiten und damit weniger zu übersehen. Der nächste Schritt ist dann, angemessen auf das Gesehene zu reagieren; das kann schwierig sein, denn man muss eventuell Konflikte riskieren. Die persönliche Haltung ist das, was sich am schwierigsten ändern lässt. Wie gehe ich etwa mit Kritik um? Was mache ich, wenn eine Kollegin oder ein Kollege sich falsch verhält, den ich mag?
Das sind Dinge, die auch in andere Bereiche ausstrahlen, etwa ins Beschwerdemanagement. Es wird damit auch ein Schritt getan zur Professionalisierung und zur Qualitätsentwicklung innerhalb der katholischen Kirche.
Wie werden diese Bemühungen von Außenstehenden bewertet?
Bisher haben wir positives Feedback bekommen, auch von dem unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung, Herrn Johannes-Wilhelm Rörig. Ein zweites Monitoring wird jetzt zeigen, ob sich der erste Eindruck bestätigt. Dabei werden zum Beispiel im Bistum Trier die leitenden Pfarrer gefragt, wie die Empfehlungen des Runden Tischs Sexueller Kindesmissbrauch der Bundesregierung konkret in ihrem Verantwortungsbereich umgesetzt werden.
Ein weiteres Thema war auch der Abschlussbericht der Hotline der Deutschen Bischofskonferenz für Opfer sexueller Gewalt. Gab es da hilfreiche Erkenntnisse für die Diskussion?
Ja, die Erfahrung aus der Hotline hat uns die Perspektive der Opfer nähergebracht. In der Zusammenschau zeigen sich zwei Dinge: Jeder Fall ist anders, denn jeder Täter ist anders. Aber es gibt grundlegende Täter-Strategien, die etwa der Tarnung dienen. Und das spiegelt sich in den Berichten der Opfer wider. Wir können lernen, wann Kinder und Jugendliche besonders gefährdet sind, Opfer zu werden. Etwa, wenn es Streit in der Familie gibt oder sie vielleicht andere Probleme haben und sich jemandem anvertrauen, der dann ihr Vertrauen ausnutzt. Und welche Folgen die Betroffenen erleiden.
Können Sie abschließend noch einmal Ihren persönlichen Eindruck von der Runde in Erfurt schildern?
Ich denke, wir erleben eine Aufbruchsstimmung. Auf allen Ebenen in den Bistümern haben wir den Eindruck, dass der manchmal langsame Tanker kirchlicher Strukturen aufgebrochen ist und sich auf den Weg gemacht hat. Es gibt wesentliche Schritte, die noch vor zehn Jahren undenkbar gewesen wären, worüber jetzt in ganz neuer Weise diskutiert wird.
Das macht Hoffnung: Es werden sicherere Strukturen für das Aufwachsen von Kindern, Jugendlichen und erwachsenen Schutzbefohlenen entstehen.